Im Wartezimmer

Das Schlimmste an diesen Verletzungen ist die Warterei. Gut, manchmal schmerzen sie auch ein wenig und sind lästig, aber daran gewöhnt man sich mit der Zeit. viel schlimmer ist diese nervige Warterei bei den Ärzten. Andauernd und überall muss man warten, warten, warten. Zwischendurch darf man kurz etwas zum Geschehen sagen, den Hergang schildern, die Schmerzen, aber danach heißt es wieder warten, bis sich jemand erbarmt, die Behandlung zu übernehmen.

Nach meinem Sturz komme ich Freitagabend mit freundlicher Hilfe von Aline im Krankenhaus Friedrichshain in der Notaufnahme-Station an und ahne noch nicht, dass ich hier die nächsten fünfeinhalb Stunden mit besagtem Warten verbringen werde. Die Schmerzen im Arm sind durchaus noch erträglich, sodass sogar noch Zeit für einen kurzen Scherz an der Aufnahme bleibt, in dem uns freundlich mitgeteilt wird, dass die Wartezeit zwar keine 5 Minuten beträgt, aber man mich mit Sicherheit auch keine 5 Stunden warten werden lässt. Offensichtlich waren die zwei mir Auskunft erteilenden Schwestern neu.

Leicht beruhigt aufgrund der freundlichen Auskunft und der Aussicht auf baldige Behandlung setze ich mich ins Wartezimmer. Im Fernseher gegenüber läuft n24 mit unglaublich spannenden Reportagen, von denen ich leider nur die Bilder mitbekomme und auf den erklärenden Ton verzichten muss. Eine der Sendungen heißt „Rückkehr der Plagen“, und im Laufe des Abends werde ich den Begriff Plagen immer mehr mit den übrigen Patienten hier im Warteraum in Verbindung bringen. Währenddessen unterhalte ich mich mit Aline, denke mir fiese Sachen über die anderen Patienten aus und bin angesichts der Tatsache, dass mein Arm langsam immer mehr schmerzt, noch immer verhältnismäßig gut gelaunt.

Die ersten 2 Stunden vergehen recht fix. Ich habe zwar innerlich gehofft, dass es viel schneller gehen würde, bin mir aber bewusst, dass das unwahrscheinlich ist, daher kann ich mit 2 Stunden noch gut leben. Viel schlimmer aber sind die ganzen Leute, die den Warteraum betreten haben und bereits nach 10 Minuten ungeduldig auf die Uhr schauen. Unter ihnen sind auch ein Mann und eine Frau, wobei sie offenbar Probleme mit der Helligkeit hier im Raum hat, denn ihre Sonnenbrille behält sie die ganze Zeit über auf. Die beiden sind, wie ich erst später feststellte, ein Pärchen und beide etwa mittleren Alters, irgendwo zwischen 40 und 50, wobei sie sich erheblich schlechter gehalten hat, dies aber durch peinliche Retuschierungsversuche im Gesicht und durch die Kleidung zu verbergen versucht. Anfänglich hielt ich sie für seine Mutter, doch nach einigen Küssen und einem sorgsamen „in den Arm“-Nehmen scheint mir das ausgeschlossen. Sie verhält sich recht merkwürdig und passt von ihrer gesamten Art her überhaupt nicht in diesen Warteraum, während er sie voller Inbrunst in ihrem Leiden unterstützt. Weshalb sie hier ist kann ich übrigens nicht erkennen, aber wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass ihre Haushälterin ihr einen schlechten Wein geöffnet hat und sie nun das dringende Bedürfnis hat, sich den Magen auspumpen zu lassen. Stimmt aber vermutlich nicht.

Jedenfalls sind sich beide bewusst, dass sie hier nicht hingehören und versuchen deshalb bereits nach kurzer Zeit, durch andauerndes Nachfragen bei der Anmeldung und stetiges Hinweisen auf den schlimmen Gesundheitszustand die Wartezeit noch weiter zu verkürzen.

Nun muss ich zugeben, dass mich kaum etwas mehr rasend macht als die unterschiedliche Behandlung von Menschen. Gerade im Gesundheitswesen ist das ein Punkt, den ich absolut nicht nachvollziehen kann, kein Mensch sollte besser oder schlechter oder schneller als irgendjemand anders behandelt werden, weshalb mich diese beiden Gestalten ziemlich sauer machen, da sie offenbar der Meinung sind, eine bevorzugte Behandlung verdient zu haben, trotzdem offensichtlich war, dass der schwerste Teil ihrer Krankheit im Kopf zu finden sein würde. Unverständlicherweise hatten sie mit ihrem Verhalten aber doch tatsächlich auch Erfolg und kommen nach nicht einmal einer Stunde Wartezeit in das erhabene Gefühl, ihren Namen über die Sprechanlage zu hören, um anschließend gemeinsam ins Behandlungszimmer zu entschweben.

Inzwischen sind in etwa 3 Stunden vergangen und es reicht mir. Ich gehe vor zur Aufnahme, um freundlich auf die Tatsache hinzuweisen, dass ich starke Schmerzen habe und bereits seit über 3 Stunden geduldig warte. Daraufhin wird mir mitgeteilt, dass es nach verschiedenen Abteilungen gehe und der chirurgische Bereich, welcher für meinen Arm zuständig ist, heute etwas überlastet sei. Es folgt ein kurzer Meinungsaustausch, an dessen Ende ich noch ein paar recht unfreundliche Bemerkungen über die Kompetenz der Stationsschwester fallen lasse (für welche ich mich später allerdings wieder entschuldige) und begebe mich zurück in den Warteraum, wo ich mich wieder den spannenden, aber leider tonlosen Berichten von n24 widme, wo inzwischen der neueste Klatsch und Tratsch aus der Welt der Reichen und Schönen läuft. Die mussten bestimmt noch nie 5 Stunden in einem Wartezimmer sitzen. Glücklicherweise bin ich nicht allein und kann mit Aline wunderbar über das restliche Wartevolk lästern, was die ein oder andere Minute erträglicher macht.

Nach nur noch etwas über 2 Stunden Wartezeit mehr bin ich dann doch schon dran. Ich werde aufgerufen, natürlich als Frau Schwarz, was bei den wenigen noch anwesenden Personen (die augenscheinlich alle aus Marzahn kommen und sich vermutlich gemeinsam auf eventuelle Schwangerschaften testen lassen wollen) für verwirrte Gesichter sorgt. Die folgenden Minuten verbringe ich beim Arzt und schildere ihm mein Leid, um anschließend wieder in den Warteraum geschickt zu werden, der seinem Namen an diesem Abend wirklich alle Ehre macht. Dieses Mal muss ich auf einen Termin zum Röntgen warten, was glücklicherweise nur etwa 20 Minuten dauert. Ich werde freundlich in den Raum gebeten und gleich darauf vor die unmögliche Aufgabe gestellt, meinen Arm in einem bestimmten Winkel auf den Tisch zu legen. Bewegungen des Arms sind mir zu diesem Zeitpunkt kaum möglich, die Schmerzen sind enorm und das Drehen des Handgelenks erscheint mir unmöglich. Trotzdem verlangt sie genau das von mir, gibt mir dazu noch den netten Hinweis, dass ich auch schreien dürfe, das mache ihr nichts aus. Da ich davon ausgehe, dass sie sich nicht von der Tatsache beirren lassen würde, dass es mir durchaus etwas ausmacht, gebe ich mein bestes, den Arm in die gewünschte Position zu bringen und bin dabei sogar im Ansatz erfolgreich. Dummerweise reicht ihr dies nicht aus, weshalb sie meinen Arm nimmt, um ihn selber in die passende Stellung zu bringen. Daraufhin spielen wir etwa 2 Minuten ein Spiel, in welchem ich ihren Arm mit meiner linken Hand wieder entferne und sie es erneut versucht. Am Ende gibt sie auf und ich verspreche im Gegenzug, mich mehr zu bemühen. Unter Aufbietung all meiner Willenskraft bringe ich den Arm fast perfekt in die von ihr präferierte Position und habe anschließend den Eindruck, dass sie sich mit dem Knipsen ein wenig mehr Zeit als erforderlich lässt. Es folgt eine zweite Runde mit ähnlichem Verlauf, aber am Ende haben wir beide, was wir wollten: Fr. Röntgen bekam ihr Foto und ich musste nicht schreien. Anschließend darf ich endlich wieder im Warteraum Platz nehmen.

Eine stinkende Frau rennt leicht aufgelöst vorbei, wohl auf der Suche nach jemand Bekanntem, ihr Geruch liegt noch Minuten später in der Luft. Wirklich leer wird der Wartebereich nie, es befindet sich die ganze Zeit über etwa die gleiche  Anzahl an Personen hier. Unfälle richten sich nicht nach der Uhr, sie passieren einfach. Ein paar verzweifelt wirkende Personen kommen noch in den Raum und erinnern mich daran, dass es sicher einige Leute gibt, denen heute Schlimmeres wiederfahren ist als mir.

Aber trotzdem zeigt mir meine Verletzung die eigene Verwundbarkeit auf, wie schnell und unerwartet uns Ereignisse treffen und unser Leben verändern können. Ich hielt mich vielleicht nicht für unsterblich, aber zumindest für unverletzlich gegenüber solch lapidaren Dingen wie gebrochenen Armen. Wie falsch ich mit dieser Einschätzung lag und wie sehr man einen gesunden Körper schätzen sollte, wird mir an diesem Abend schmerzhaft bewusst.

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